Test und Bewertung: Harveys Neue Augen
Story: | sehr gut 9/10 | ||
Nicht nur die liebe süße Lilli Mit "Harveys Neue Augen" macht sich der Spieler auf eine Reise in die Welt und den Verstand von Lilli - einem auf den ersten Blick äußerst unscheinbaren Mädchen. In drei abwechslungsreichen Kapitel erlebt die bravste Klosterschülerin der Welt ein abgedrehtes Abenteuer mit ihrer Freundin Edna und vielen durchgeknallten Charakteren aus dem Vorgänger-Adventure "Edna Bricht Aus". Im Kloster wird die tollpatschige Lilli von niemandem gemocht, außer von Edna. Diese verschwindet jedoch spurlos, als Dr. Marcel ins Kloster gerufen wird, um mit seiner Therapie Zucht und Ordnung unter den dort lebenden Kindern zu schaffen. Der renommierte Psychologe hypnotisiert die Kinder mit seiner Harveypuppe und nimmt ihnen den freien Willen - so auch bei Lilli. Doch um Edna zu finden, muss sich die sonst so unschuldige Schülerin vielen Herausforderungen stellen, über Verbote hinwegsetzen und ungehorsam sein. Ein kurzer Trip in Ednas abgedrehte Welt Das Adventure baut zumindest nicht offensichtlich auf dem Spielvorgänger auf, so dass es als eigenständiges Spiel in sich verständlich und geschlossen ist - ich habe "Edna Bricht Aus" bislang noch nicht gespielt. Auf alle Fälle regt es die Neugier an, Lilli in das Geschehen von Ednas erstem Abenteuer einzuordnen. Leider ist die Geschichte etwas kurz und zu schnell durchlebt: Die Spielzeit beträgt im vorliegenden Test ca. 9,5h, bei dem nahezu alle Texte angehört und nicht alle Rätsel auf Anhieb gelöst wurden. Dafür erwarten den Spieler ein nicht vorhersehbarer Spielverlauf voller toller Überraschungen und zwei mögliche Enden - diese bringen die Geschichte um Harvey, Lilli und Edna aber leider nicht ganz zufrieden stellend zum Abschluss. | |||
Grafik: | sehr gut 9/10 | ||
Schräg in jeder Hinsicht Die handgezeichnete 2D-Grafik ist ein Volltreffer: Sie bleibt dem Comic-Stil des Vorgängers treu, kann nun aber in vielen Bildschirmauflösungen (auch in HD) durchlebt werden. Simpel, übersichtlich, etwas krumm und schief, gleichzeitig aber knallbunt, vielfältig, jederzeit stimmig und etwas für's Auge - so lässt sich Lillis Welt beschreiben. Ein paar mehr Animation hätten den skurrilen Szenen nicht geschadet, da sie bis auf die Charaktere und Zensurgnome recht statisch sind. Jedoch machen schon allein die großartig gezeichneten Spielfiguren - und davon gibt es eine Menge! - das Spiel lebendig. Sie passen einfach perfekt in ihr Umfeld. Leider sind die Interaktionsicons am Mauszeiger (Sprechblase, "Auge", Hand - Benutzen, Nehmen, Essen/Trinken) etwas klein geraten, aber man gewöhnt sich im Spielverlauf daran. Die Hotspotanzeige kommt mit den rot aufleuchtenden Augen von Harvey sehr cool daher. | |||
Sound: | gut 8/10 | ||
Eingängig, schlicht und melancholisch Die Hintergrundmusik passt zu den Locations, z.B. Orgelmusik in der Kapelle, wird aber sehr dezent eingesetzt. So ist sie innerhalb eines Settings wie dem gesamten Klostergebiet oftmals gleich. In manchen Räumen herrscht leider auch vollkommene Stille. Dafür versetzt der leicht wehmütige Titelsong im Jazz-Stil "Nadel und Faden" von Edna-Schöpfer Jan Müller-Michaelis alias Poki den Spieler in die richtige Stimmung für das Adventure. Das Thema kehrt im Spiel immer wieder und liegt zudem als Audio-CD bei. Nicht nur Lilli ist sprachlos Lilli & Co. wirken durch ihre äußerst professionellen und passenden Sprecher sehr authentisch. Die bekannten Stimmen aus Teil 1 lassen grüßen! Von Lilli selbst hört man bis auf ein Stottern und Seufzen jedoch nicht viel: Immer wenn die zurückhaltende Klosterschülerin etwas sagen möchte, lassen sie die anderen Charaktere nicht zu Wort kommen. Traurig und komisch zugleich. So fehlen natürlich auch die Dialoge mit der Protagonistin - leider. Auf die tolle Vertonung muss jedoch jeder kurzzeitig verzichten, der die Untertitel zuschaltet. Denn im selben Zuge wird die Sprachlautstärke automatisch auf Null gesetzt - diese Logik muss man erst einmal verstehen... Auch schade ist, dass die Sprachausgabe des ansonsten hervorragenden Erzählers Otto Götz verhältnismäßig langsam ist, denn er kommt häufig zu Wort und zieht dadurch das Spiel etwas. Die Off-Stimme offenbart nicht nur Lillis Gedanken, auch zu allen Gegenständen und Vorkommnissen hat der Sprecher eine kleine Story oder lustig-sarkastische Kommentare auf Lager. | |||
Atmosphäre: | gut 8/10 | ||
"Harveys Neue Augen" schreitet einerseits mit Ruhe und Gemach voran, v.a. durch seine eher statischen, beschaulichen und aufgeräumten Spielszenen sowie oftmals verharrenden Nebencharakteren. Andererseits wirkt es durch seine absonderlich-ulkigen Charaktere und Dialoge sehr lebendig. Es ist alles leicht verrückt, aber so nicht mitreißend, wie man vermuten könnte - Lilli ist eben teilweise freudlos und bedrückt. Musik, Hintergründe, Spielfiguren sind auf die aktuellen Geschehnisse abgestimmt und bieten eine ausreichende Vielfalt. Leider ist aufgrund der relativ stummen Protagonistin keine rechte Identifikation mit ihrer Person möglich, so dass der Spieler doch etwas außen vor bleibt. | |||
Rätsel: | gut 8/10 | ||
Auf zur großen Erkundungstour Jedes Kapitel findet in einer anderen Umgebung statt, z.B. im Kloster oder im Dorf. Diese Locations sind äußerst umfangreich und bieten reichlich Stoff zum Entdecken. Das prinzipielle Vorgehen beim Rätsellösen ist überwiegend wie aus anderen Adventure-Spielen gewohnt: Gegenstände finden, untersuchen, aufnehmen und verwenden, vorzugsweise an Personen, um deren Aktionen zu beeinflussen. Symbole am Mauszeiger zeigen dabei die verfügbaren Aktionen an. Leider lassen sich nur wenige Gegenstände kombinieren. Die Rätsel sind sehr stark miteinander verwoben, von einander abhängig und relativ linear zu lösen. Dabei können aber stets alle Locations der aktuellen Umgebung besucht werden. So ist der Spieler gefordert, sich seine aktuellen Aufgaben immer wieder selbst vor Augen zu halten bzw. sie überhaupt erst einmal herauszufinden. Ein guter Anspruch und daher nicht zu einfach! Allerdings sind nicht viele Rätsel komplexer Natur - der Überblick ist also recht gut zu wahren. Die praktischen Zensurgnome Durch ihre Tollpatschigkeit verursachen die Handlungen der gutmütigen Lilli im Endeffekt immer etwas Negatives, bei dem Personen zu Schaden kommen, z.B. wird ein Junge von Termiten aufgefressen, ein anderer explodiert im Ofen oder ein Mädchen erhängt sich. Da sich die brave Klosterschülerin mit diesen Unannehmlichkeiten nicht auseinandersetzen will, kommen dann die Zensurgnome. Diese kleinen kartoffelförmige Freunde pinseln alles rosa an, was die Protagonistin lieber tief in ihrem Inneren vergraben will. Praktischerweise sorgen sie dadurch auch für den Jugendschutz ;-) Verbote sind zum Brechen da Es gibt einige behindernde Erwachsenenregeln im Spiel, die Lilli brechen muss, um knifflige Rätsel lösen zu können: von z.B. nicht lügen über keinen Alkohol anrühren bis dahin alles zu tun, was man will. Dabei spielt Harvey eine entscheidende Rolle: Der von Dr. Marcel genötigte Stoffhase achtet penibel darauf, dass sich Lilli an die Spielregeln der Erwachsenen hält. Allerdings lässt sich Lilli mit Hilfe der Harveypuppe in Trance versetzen - und schon befindet sich der Spieler in Lillis Unterbewusstsein. In dieser Trancewelt können nach und nach Lillis Blockaden gelöst werden, indem gegen von Harvey verkörperte Ungetiere angekämpft werden muss. Erst dann kann Lilli die Verbote auch in der realen Welt umgehen und bestimmte Spielaktionen ausführen - super kreativ und ausgefallen! Die Verbote sind stets geschickt in Story und Rätseldesign integriert; bspw. muss für das Lügen-Verbot Justitia ausgetrickst werden, indem man eine Gleichung erstellt, bei der das Ergebnis herauskommt "Lügen = gut". Bedauerlichweise wartet man vergebens darauf, mehrere Verbote hintereinander bzw. abwechselnd zu brechen, um im Spiel voranzukommen. Das letzte Verbot wird sogar vollkommen nutzlos freigeschalten. Aber ohnehin kommt das Aufheben der Verbote nur ein paar Mal vor. Hier wurde Potential verschenkt. Irre Minigames Einige Rätsel sind in spannende Minispiele verpackt. Bei deren Lösung ist logisches und systematisches Vorgehen von Nöten. Ob Logical und Steinplatten-Sudoku zum Schatz der Tempelritter, den richtigen Weg durch ein Tunnelsystem finden, eine Pizza entsprechend unterschiedlicher Wünsche belegen oder ein rundenbasiertes Brettspiel à la "Heroes of Might and Magic" - diese Rätselkost ist genauso wunderbar verrückt wie das ganze Spiel und ziemlich anspruchsvoll! | |||
Gameplay/Steuerung: | sehr gut 9/10 | ||
Die Point & Klick-Steuerung in "Harveys Neue Augen" ist durch und durch klassisch mit Hotspot-Anzeige & Co. Es bietet aber auch noch diese tollen Features: Einmal alle 24 Stunden gibt es zu beim Spielstart n ein kleines Fragespiel. Das muss wie in alten "Monkey Island"-Zeiten mit der mitgelieferten Code-Scheibe beantwortet werden - dafür wurde auf einen Kopierschutz verzichtet. Weiterhin besteht beim Beginn des Adventures die Option auf ein recht witziges Tutorial, um mit der Spielsteuerung vertraut zu werden. Auch die Minispiele verfügen jeweils über ein eigenes Tutorial mit Hinweisen bzw. kleinen Anleitungen (die jedoch nicht viel zu verraten). Bis auf eine Ausnahme hat man sogar die Möglichkeit zum Überspringen der Minigames. Einzig negativer Aspekt am Gameplay: Mit dem Doppelklick auf Szenenausgänge kann man eine Szene zwar sehr schnell verlassen, dafür wird aber das Betreten einer Spielszene durch die Bewegungen der Spielfigur etwas verzögert. | |||
Fazit: |
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Das schräge Abenteuer von Lilli und Harvey bietet einen weiteren kurzweiligen Ausflug in die abgedrehte Welt von Edna. Den handgezeichneten Comic-Stil und die skurrilen Charaktere muss man einfach lieben. Doch durch seine Melancholie und Komplexität ist "Harveys Neue Augen" definitiv nichts für jüngere Kinder. Außerdem wird im Spiel ordentlich geflucht und geschimpft! Unser Fazit aus dem Preview-Test hat sich also auf ganzer Linie bestätigt: Wer "Edna Bricht Aus" gespielt hat, wird "Harveys Neue Augen" lieben. Wer "Edna Bricht Aus" nicht gespielt hat, wird "Harveys Neue Augen" lieben (... und "Edna Bricht Aus" noch spielen - auf meinem Tisch liegt es jedenfalls schon :-)). Negative Aspekte: Leider hat der Spielspaß durch einen - zum Glück nur einmaligen - Absturz des Adventures einen kurzzeitigen Dämpfer bekommen. | |||
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geschrieben am 16.11.2011 von Jana Gläßer. |
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Kommentar zu Test und Bewertung: Harveys Neue Augen
Kommentar von _Ninijura am 15.07.2013; 19:09:22 Uhr
Hallo,Ich kann leider nicht zustimmen. Ich habe im Laufe meines (naja, noch nicht soo langen) Lebens einige außerordentlich gute Adventures gespielt. Leider gehört dieses meiner Ansicht nicht dazu. Nach den Rätseln der Lucasarts' Adventures (wie z.B. "Loom" oder "Monkey Island") ist "Harveys neue Augen" geradezu Pipifax. Ich habe es mir gekauft, weil ich von den vielen Möglichkeiten und dem Humor in "Edna bricht aus" total begeistert war. Ich hatte mir von Deadalic und Poki ein Spiel erhofft, das mit seinem Vorgänger mithalten, ja ihn sogar übertreffen könnte. Das Ergebins: Totale Enttäuschung.
In der ersten Scene, als man Edna im Klostergarten trifft, ist man schon sehr überrascht, da sie ja schon in "Edna bricht aus" fast (wenn nicht sogar ganz) volljährig war. Aber gut, das mag noch angehen. Der Anfang der Story ist okay, der Humor ist jedoch nur noch böse, hat kaum mehr wirklich witizge Aspekte.
Was das Gameplay angeht, war ich auch sehr enttäuscht: Nur Gegenstände, die man tatsächlich für die Lösungen der Rätsel braucht sind überhaupt zu benutzen. Die Lösungen sind sehr schnell offensichtlich. Jedoch teilweise unlogisch zu lösen. Dass Lilli einen Kronleuchter mit einem Luftballon-Schraubenschlüssel zu lösen vermag geht ja noch an, das passt zum Geist der alten Adventures (und des Vorgängers). Was mich aber (zum Beispiel) gestört hat ist, dass sie im Limbus ihre Zigarre nicht anzünden musste, um zu paffen, ja es bestand noch nicht einmal die Möglichkeit dazu. Ich habe es bestimmt 10 mal versucht. Aber es ging einfach nicht. Ich kam gar nicht auf die Idee, dass sie sie nur mit den Rauchzeichen benutzen muss, damit sie dann von alleine angeht.
Und was die Story angeht. Die fängt (auch für Edna-Fans) vielversprechend an. Wenn man dann in der Anstalt ankommt, ist man dann jedoch schon etwas genervt, dass man kaum etwas wiedererkennt. Erst nach einigem Bemühen schafft man es, den Gang, stark verändert, im Gedächtnis wiederzufinden. Das mag ja noch angehen, aber dass man dann noch nicht einmal die Möglichkeit bekommt, sich ein wenig aus dieser neuen Perspektive umzusehen ist doch sehr ernüchternd.
Was die Harvey-Puppe angeht, sehnt man sich nach dem alten, richtigen Harvey. Man hat die Hoffnung ihn am Spielende wiederzufinden. Das tut man ja auch, aber wenn man Edna bricht aus schon gespielt hat, kommen einem schon fast die Tränen, dass Harvey nun zu Lilli gehört und nicht mehr zu Edna. Aber spätestens, als Lilli ihn der Oberin gibt, will man sie am liebsten wegschubsen, Edna losschneiden und die beiden wieder vereinen. Man hofft, dass Edna das schon selbst in die Hand nimmt, wenn sie loskommt. Das, was dann folgt, ist, wie schon in der Rezension gesagt, nicht zufriedenstellend. Nicht im Geringsten. Ich hätte am liebsten den PC ausgeschaltet, war dann aber doch zu neugierig und hoffnungsvoll, was denn nun noch kommt. Schade, dass ich mir das Ende angesehen habe - ja, sogar beide. Ich habe extra das Savegame von kurz vor Ende nochmal gestartet, weil ich sehen wollte, ob das andere Ende befriedigender wäre. Nichts da - es war fast das gleiche.
Nunja, nicht alles kann ein Hit sein. Aber nach dem genialen Spiel mit den vielen Möglichkeiten, hatte ich mir doch etwas mehr vom Nachfolger versprochen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ninijura
Kommentar zu Test und Bewertung: Harveys Neue Augen
Kommentar von _Uwe am 15.07.2013; 21:28:36 Uhr
Wow. Das nenne ich doch mal einen Kommentar. Vielen Dank. Du kannst gern bei uns als Tester mit anfangen!
Fehler in "Ein kurzer Trip in Ednas abgedrehte Welt"
Kommentar von _Anonym am 05.04.2012; 19:06:30 Uhr
Es ist ein Fehler dass es 2 Enden gibt. Eigentlich gibt es noch ein drittes, welches erreicht wird, wenn man oft genug widerspricht.